Siamo arrivati in Tirano

Noch einmal geht's steil hoch, die Hufe der Muli und Pferde wirbeln den Staub einer Baustelle auf. Dann folgen etliche Asphaltwege im engen Tal, ein letzter Mittagshalt, eine Kaffeepause bei den Fratelli Triacca in Zalende, die Wartezeit dehnt sich, das Thermometer auch, und als wir über die Grenze trampen, übersteigt es die 35°-Marke.
Der Umzug durch den Zielort der ViaValtellina, die Metropole des Veltlins, wird eine heisse Tortur, man kann bei der Madonnenkirche nur um Schatten, Bier und andere Abkühlung beten. Auf der Piazza Cavour dann ein zweiter Empfang, und die welken Wanderer:innen leben bei Bresaola und kühlem Bier langsam wieder auf. Man umarmt sich, gratuliert einander, Säumerinnen und Wanderer haben grosses geschafft, mit viel Schweiss, aber ohne einen Tropfen Regen, 135 km und etwa 7000 Höhenmeter, das in sechs Tagen. Das hat sich gewaschen, nun wollen wir aber nur noch duschen.

Ein Video mit dem kleinen Roten Züglein und der Karawane aus Eseln etc. kommt dann hier, sobald geladen. https://youtu.be/fTdUOY7evDw

Vertraute Gegend, neue Blickwinkel

Den Weg vom Hospiz des Bernina-Passes zur Alp Grüm habe ich mit meiner Familie (sowohl Herkunfts- als auch eigene) schon gewiss ein Dutzend Mal gemacht, und auch die Wanderung vom Aussichtspunkt der RhB-Station bis Poschiavo kenne ich recht gut. Doch mit einem Säumertreck historisierend in Kolonne zu marschieren bietet ein ganz neues Gefühl. Es erfordert Disziplin und Tempo, der Rhythmus wird von den Tieren diktiert, die nicht regelmässige Stundenhalte brauchen, jedoch ab und zu eine Revision (Neueinstellen der Traggurten) oder eine Saufpause an einem Bergsee oder -bach. 
Von der Aussicht bekomme ich nicht allzuviel mit, beim Wandern muss ich auf jeden Schritt achten, um den lädierten Fuss nicht noch mehr zu strapazieren. Aber die Atmosphäre und die Solidarität im Säumerzug sind tragend, und die Landschaft ist sowieso sensationell, auch wenn sie traurige Realitäten anzeigt, wie den halbleeren Stausee Lago bianco, an dem die Motorradfahrer mit ihren Knattertöffs uneinsichtig vorbeidonnern. Der müde Witz des Puschlaver Bürgermeisters - man solle Wasser sparen und lieber Wein trinken - stellt nicht unbedingt auf. Und nun erwartet uns die hochgradige Sommerhitze im unteren Puschlav, in Tirano, dem Ziel des Zugs, soll es 35° geben heute. Man kann die Inszenierung der Säumerei auch als stillen Protest gegen die Überwältigung der motorisierten Moderne sehen.

Treck durchs Engadin

Am Dienstag folgt die Flachetappe von Zuoz nach Pontresina und Morteratsch, auch wieder einiges über 20 km, und mein Fuss beginnt zu streiken. Als ob er sich gegen Staub und Hitze sträubte, bläst er sich auf, macht sich wichtig, schwillt an. Die Sehnenscheide links ist überfordert, sie will nicht mehr.
Nun gut, die erste Hälfte bis Samedan hatte schon einiges an Aussichten (bis zur Margna oberhalb Sils) und Pausen (in La Punt mit zögerlichem Kaffeeausschank) zu bieten. Ein Thema im ungleich zusammengesetzten Säumerzug ist immer wieder die Reihenfolge, in der man sich Leckereien bedienen kann. Die Säumer:innen können nicht einfach den Rucksack abwerfen und sich ans Buffet stellen. Zuerst müssen die Pferde und Esel angebunden werden (an einer Anlage mit gespanntem Seil, von den drei Helfern vorgängig eingerichtet), getränkt und gehätschelt werden. Wenn, wie im sympathischen Pontresina, Bier abgezapft wird, sollten wir normal Sterblichen den Tierbegleiter:innen den Vortritt lassen.
Die Energie, das Tanzbein zu schwingen, haben dann allerdings nach langem Marsch nur zwei wackere Wanderinnen, das Getänzel des Haflingers im Video ist eher der Ungeduld des Tieres zu verdanken, das sich in die Säumerkolonne eingliedern will.

Link zum Video Tanzbeine: https://youtu.be/jJ5QGayEI3c  

Anstrengung in fantastischer Landschaft

Das Schweigen des Bloggers ist nicht dem wortlosen Staunen über die herrliche Landschaft zwischen Klosters und Zuoz geschuldet, sondern der Erschöpfung nach anstrengenden Wanderungen. Der Tross mit bisweilen 16 Tieren legt wie immer ein gesundes Morgentempo vor - gesund für die Pferde, Muli und Esel - der Hund legt den ganzen Weg sowieso mindestens drei Mal zurück. Für den morgenmüden Menschen geht es manchmal zu rasant auf den Pfad.
Das Wetterglück macht, dass wir den Treck unter strahlendem Himmel geniessen dürfen, dieweil die Wiederholungstäter unter den Säumerinnen und Säumern von vergangenen Martyrien in Regen, Schnee und Sturm raunen.
Die Wanderung führt uns von Klosters über den Wolfgangpass (vorbei an röhrenden Töffs und am goldenen Ei) nach Davos, und von dort in einer sich immer mehr ausdehnenden Nachmittagsplackerei bis zuhinterst in das Dischmatal, wo auf der Alp ein Aperobuffett wartet. Wir werden mit dem Bus zurückgekarrt ins Davoser Hotel und am Morgen wieder hinauf, da die Unterkunft nur für die Säumer:innen Platz bietet. Die Tragtiere nächtigen draussen und mampfen Heu.
Der Aufstieg auf den Scalettapass ist dann auf gut befestigtem Weg gar nicht mehr so anstrengend, 600 Höhenmeter erledigen sich in der Morgenkühle leicht. Der Pass hat sich inzwischen zum Übergang der (e-) Mountainbiker gemausert. Die Herren und Damen müssen sich manchmal ein bisschen gedulden, an der Kolonne kommt man nicht leicht vorbei, es sei denn man riskiere Kopf und Kragen mit einem Balanceakt am Rand des Abgrundes (wie einmal beobachtet).
In Susauna, das zu S-chanf gehört, und in Zuoz gab es dann schöne Willkommenstrünke, gerahmt von kernigen Ansprachen der jeweiligen Gemeindepräsidenten. Man fühlt sich schon ganz besonders und versucht, die Müdigkeit etwas zu verbergen. 

Link zum Videoclip: Abstieg vom Scaletta https://youtu.be/sOQwjiU1Uv4 

Der erste Wandertag führt über das Schlappiner Joch

Bildlegende: Die Tranksame quillt aus dem Berg. Das Maultier muss nur saufen wollen.

Der Name des Joches hat gemäss einem Autor seinen Ursprung in dem rätoromanischen Wort „stloppus", was soviel wie „,Schlag auf den Hintern" bedeute. Die Säumerwanderung, die uns von Gargellen im Montafon über diesen Pass ins Prättigau führt, dürfte denn auch historisch bedeutet haben, dass man die "Pferde durch Schlagen anfeuerte, eine bestimmte steile Strecke zu bewältigen". Unsere Tiere werden aber wohl gehalten, gut gefüttert und immer wieder getränkt, so dass sie die Steigung brav bewältigen.
In der Tat legten sie heute morgen auf dem weniger steilen Anmarsch ein Tempo vor, das uns Wandernde fast schon ausser Atem kommen liess. Die anspruchsvolleren Partien, die von schmalen und steinigen Wegverhältnissen geprägt sind, ging dann aber alles im Gleichschritt. Die Haltepunkte auf dem Joch und im Walserweiler Schlappin sind dann geprägt von schönen Empfängen, mit Alphornbläsern und einem Fahnenschwinger, der allerdings öfters mit dem Schönwetterwind kämpfen muss.
In Klosters Platz ist grosser Bahnhof. Wir, bzw. die Tiere mit ihren Führern, zelebrieren einen Einzug, der als Festakt für das 800-Jahr-Jubiläum der Gemeinde funktioniert, mit wohltuend kurzen Reden und vielen Danksagungen. Auf dem Weg vom Joch bis ins Dorf ist unser Zug mächtig gewachsen, es sind weitere Pferde und Esel dazugekommen und auch viele menschliche Feiernde. Das Wetter war und bleibt strahlend. Die Jochüberquerung war zwar ein wenig anstrengend, aber äusserst lohnend und kurzweilig.
Link zu einem kurzen Video über den Passanstieg: https://youtu.be/O9Wxeb23e5I